Einführungstext 2

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Biodynamische Psychologie und Psychotherapie (II)

Im April 1969 hielt die norwegische Psychologin und Physiotherapeutin Gerda Boyesen in London ihren ersten öffentlichen Vortrag. Sie sprach vor einem fachkundigen Auditorium über „Erfahrungen mit Dynamischer Entspannung und die Beziehung ihrer Entdeckung zu W. Reichs bioenergetischer Sicht der Vegetotherapie“. Gerda Boyesens Vortrag erschien im Januar 1970 in der Erstausgabe von „Energy and Character“. Der Herausgeber der Zeitschrift, David Boadella, dessen Vortragseinladung die gebürtige Norwegerin gefolgt war, erinnert sich, dass bei dem Vortrag in London „…einige bekannte Laingianer anwesend waren und dass Laing selbst durch diese Kontakte Interesse am Körper gewann. Auch Jerome Liss…war da.“ (Boadella, in: Energie & Charakter, 24, 7, S.190).

Dieser Vortrag kann als die Geburtsstunde der „öffentlichen“ Biodynamischen Psychologie gelten.

Seither sind mehr als 45 produktive Jahre vergangen, in denen die Biodynamik aufblühte. Das aktuelle Konzept eines ‚zweiten Gehirns’ in den Gedärmen deutet auf eine gewisse Autonomie intestinaler Prozesse hin und kann als indirekter Beleg für die Validität des zentralen Konzepts von Gerda Boyesen, der Psychoperistaltik, verstanden werden. 2001 wurde die Biodynamische Psychologie offiziell von der Europäischen Assoziation für Psychotherapie EAP als wissenschaftlich begründetes Verfahren anerkannt. Die Ihnen vorliegende Bibliographie zur Biodynamik, die bis zum Jahre 2000 in 4 jeweils erweiterten und aktualisierten Auflagen erschienen ist und den publizistischen Reichtum der Biodynamik dokumentierte, war ein hilfreiches Element zur Erlangung dieses Status.

Gerda Boyesen war eine Klientin und Schülerin des Norwegers Ola Raknes, einem gelernten Psychoanalytiker, der Zeitgenosse und Schüler W. Reichs war und maßgeblich zur Verbreitung von dessen charakteranalytischer Vegetotherapie in Europa beigetragen hat. Raknes unterhielt seit Mitte der sechziger Jahre neben seiner Praxis in Oslo auch eine kleine Praxis in London. 1969 bot er Gerda Boyesen an, diese Praxis zu übernehmen, was sie akzeptierte. Sie wurde in der Folge zu einer der wichtigsten und prägendsten Gestalten der jungen Körperpsychotherapie. Insbesondere in ihrem ersten Jahrzehnt in London beeinflusste Gerda Boyesen zahlreiche Körperpsychotherapeuten der ersten Stunde, darunter viele spätere Schulengründer wie Malcolm Brown, Jerome Liss und David Boadella. Ihre Töchter Ebba und Mona Lisa entwickelten jeweils eigenständige therapeutische Konzeptionen und wurden bekannte Therapeutinnen. Gerdas Sohn Paul Boyesen wurde zum Begründer der Psychoorganischen Analyse. Etwa um 1975 begann sie ihren Ansatz „Biodynamische Psychologie“ zu nennen. Der Name entstand übrigens spontan im Gespräch mit ihrer Tochter Mona-Lisa.

Die „Biodynamische Psychologie“ ist eine Form der Körperpsychotherapie. Es handelt sich um höchst kreative Fortentwicklungen der Reichschen Ansätze. Gerda Boyesen galt zu ihren Lebzeiten zu Recht als eine der Leitfiguren der zeitgenössischen Psychotherapie. Sie ist besonders bekannt geworden für ihre originellen Beiträge zum Verständnis der Zusammenhänge zwischen innerorganismischen vegetativen und physiologischen Vorgängen, Gefühlen und energetischen Prozessen. Sie hat sich immer rückhaltlos und erfrischend klar und direkt für eine Verbindung der körperlichen, geistigen und der spirituellen Entwicklung des Menschen und der Menschheit. eingesetzt und die besondere Rolle des Körpers für echte positive Veränderungen hervorgehoben: „Wahre Transformation geht nur über den Körper.“ Zusammen mit ihren Kindern hat sie sich sozusagen in die organischen Tiefen des Körper-Geist-Seele-Zusammenhangs hinein begeben und hier Entdeckungen gemacht, deren historischer Wert in Zukunft sichtbar werden wird. Ich nenne hier insbesondere die Vorstellungen der Psychoperistaltik, des Gewebepanzers, der Teleologie der Lebensenergie und der Spiritualität des Körpers. (Die einzelnen Begriffe werden im Begriffsglossar genauer erläutert.)

Hier findet sich eine Auswahl der wichtigsten Veröffentlichungen von Gerda Boyesen:

  • Boyesen, Gerda & Boyesen, Mona-Lisa (1977): Biodynamische Theorie und Praxis, in: Petzold, Hilarion G. [Hrsg., 1977]: Die neuen Körpertherapien, Paderbom: Junfermannsche Verlagsbuchhandlung, 140-157
  • Boyesen, Gerda (1987): Über den Körper die Seele heilen. Biodynamische Psychologie und Psychotherapie, München: Kösel Vlg.
  • Boyesen, Gerda & Boyesen, Mona Lisa (1987): Biodynamik des Lebens: Die Gerda-Boyesen-Methode Grundlage der biodynamischen Psychologie, Essen: Synthesis Vlg.
  • Boyesen, Gerda, Leudesdorff, Claudia, Santner, Christoph (1995): Von der Lust am Heilen, München: Kösel Vlg.
  • Boyesen, Gerda (1995): Psychotherapie und Spiritualität, in: Zundel, Edith & Loomans, Pieter [Hrsg., 1995]: Im Energiekreis des Lebendigen. Körperarbeit und spirituelle Erfahrung, Freiburg Basel Wien: Herder Vlg., 176-185
  • Boyesen, Gerda (1996): Die Dynamik der Psychosomatik, in: Energie und Charakter, 27, 14, 70-85
  • Boyesen, Gerda & Bergholz, Peter (2003): Dein Bauch ist klüger als Du, Hamburg: Miko-Edition

Am 29.12.2005 ist Gerda Boyesen gestorben. Ihre Person und ihr Werk wird nicht vergessen werden. 2006 ist ihrer in mehreren Nachrufen voller Wertschätzung und Anteilnahme gedacht worden. Einige Beispiele finden sich auf unten angegebenen Internetseiten:

http://www.gbpev.de/docs/nachruf.html
http://www.koerperpsychotherapie-dgk.de/Nachruf_Gerda-Boyesen.pdf
http://www.biozen.de/biodynamik/Gerda_Boyesen.php
http://www.pressearbeit-bockow.de/Gerda-Boyesen.htm

Gerade auch die auf dieser Webseite vorhandene Bibliographie dokumentiert die Fülle, Fruchtbarkeit und Originalität ihres Schaffens und des Werks ihrer Kinder Ebba, Mona-Lisa und Paul Boyesen. Die Bibliographie versammelt die Titel von gut 450 Veröffentlichungen und Manuskripten der Boyesen Familie und vieler anderer Autoren, die der Biodynamik verpflichtet sind oder eine gewisse Nähe zur Biodynamik aufweisen.

Dem rührigen Berufsverband (GBP e.V.) ist es zu verdanken, dass inzwischen 19 oft recht hochkarätig besetzte Tagungen zu jeweils spezifischen Themen durchgeführt und die Tagungsbeiträge veröffentlicht werden konnten.